Bis zum Ende des Jahrzehnts setzt sich Fernsehen „on demand“ laut den Experten einer großen Strategieberatung auf breiter Basis durch. Zunächst dominiert in den kommenden Jahren aber das traditionelle Fernsehen mit seinen festen Sendezeiten.
Zum Jahreswechsel 2009/2010 hatten wir hier im Blog die Frage gestellt, ob es am Ende des neuen Jahrzehnts überhaupt noch TV-Sender geben wird. Ja, aber ihre Bedeutung wird stark abnehmen, wenn sich Abrufinhalte erst bei den Verbrauchern durchgesetzt haben, lautete das Fazit. Zu einem ähnlichen Ergebnis sind jetzt die Experten von Booz & Company gelangt.
Die internationale Strategieberatung Booz & Company prognostiziert erhebliche Veränderungen für den deutschen Fernsehmarkt. Ende des Jahrzehnts entfallen demnach schon über 50 Prozent des Konsums auf nicht-lineares Fernsehen „on demand“. Erst einmal verändert sich allerdings nicht viel, die Entwicklung wird erst in ein paar Jahren kräftig an Schwung gewinnen.
Fernseher im Wohnzimmer bleibt wichtigstes Endgerät
Derzeit findet 95 Prozent des TV- und Videokonsums auf einem Fernsehgerät im Wohnzimmer statt. Bis zum Jahr 2020 sinkt dieser Anteil zugunsten anderer Endgeräte wie Computer, Smartphones und Media-Tablets auf 80 Prozent, aber obwohl dann die Hälfte der Nutzung auf Abruf erfolgt, bleibt der Fernseher dafür das mit Abstand wichtigste Endgerät. Trotzdem nimmt die Nutzung dieser anderen Endgeräte sehr stark zu, genannt werden hier Wachstumsraten von 33 bis 55 Prozent. Diese Nutzung findet aber größtenteils zusätzlich statt, die Zeit vor dem großen Bildschirm im Wohnzimmer reduzieren die Zuschauer deshalb kaum.
Lineares Fernsehen, dessen Inhalte zu bestimmten vom Sender festgelegten Sendezeiten ausgestrahlt werden, hat nach Meinung der Experten dennoch eine gute Zukunft, wenngleich kleinere Anbieter eine Verdrängung fürchten müssen. Die Anbieter des klassischen Fernsehens bleiben interessant bei Inhalten mit Event- oder Live-Charakter, die eine Echtzeitübertragung erfordern, beispielsweise Casting-Shows, Sportveranstaltungen und Live-Teleshopping. Inhalte wie Spielfilme und Serien, bei denen es auf eine bestimmte Ausstrahlungszeit nicht ankommt, wandern dagegen in den „on demand“-Bereich ab.
Lineares Fernsehen verliert Werbegelder
Mit diesen attraktiven Inhalten wechseln auch Werbebudgets die Seiten. Fernsehen auf Abruf wird sich auf Werbung als Haupterlösquelle stützen können, die herkömmlichen TV-Sender dagegen müssen sich als Ersatz andere Erlösquellen suchen, etwa Sportwetten, Shopping und Gaming. Die Ausgangssituation für die Fernsehsender ist gut, glaubt man bei Booz & Company. Um auf lange Sicht wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten sie „innovative sendezeitgebundene Formate“ entwickeln. „Die Möglichkeit, etwa über Social Media-Plattformen wie Facebook eine Sendung live mitzugestalten, lockt die Zuschauer zu einem bestimmten Zeitpunkt vor den Fernseher – eine Spielfilmausstrahlung nicht“, fasst Thomas Künstner, der bei Booz & Company die europäische Media Practice leitet, zusammen.
Große Reichweiten sind auch in Zukunft wichtig: „Die Reichweiten der linearen Sender werden signifikant abnehmen, wenn ein großer Teil der TV Nutzung ‚on demand‘ stattfindet. Die großen Sender können diese Einbußen potenziell durch das Erschließen neuer Erlösquellen kompensieren. Wir erwarten aber, dass ungefähr ein Drittel der ‚kleinen‘ Sender nicht mehr genügend Reichweite erzielt, um am Markt zu bestehen. Letztendlich werden sich drei bis fünf große Anbieter, die das gesamte Fernseh- und Video-Erlebnis ins Wohnzimmer liefern, herausbilden. Diese wenigen großen Player stellen dann etwa 80% bis 90% des Gesamtangebots bereit.“
Voraussetzungen für den Erfolg bei der Mehrheit der Zuschauer
Bis Fernsehen bzw. Video auf Abruf sich in Deutschland bei der breiten Masse etabliert, müssen laut Booz & Company mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Auf technischer Ebene fehlt es zum Teil an Internetanschlüssen, die Bewegtbildinhalte in guter Qualität übertragen können. 40 Prozent der Internetnutzer wünschen sich schnellere Verbindungen, darüber hatten wir hier im Blog erst am Freitag berichtet. Echtes Highspeed-Internet ist noch nicht sehr weit verbreitet, was nicht nur eine Frage der Akzeptanz bei den Verbrauchern ist.
Außerdem müssen entsprechende internetfähige bzw. interaktionsfähige Endgeräte erhältlich sein. Hier hat sich in den letzten Jahren schon einiges getan, man muss nicht unbedingt eine Set-Top-Box an sein TV-Gerät anschließen. Viele Flachbildfernseher, aber auch einige Blu-ray-Player, Digital-Receiver und Spielkonsolen können über das Internet Video-on-Demand-Inhalte ins Wohnzimmer holen. Defizite sieht man bei Booz & Company besonders bei der Benutzerfreundlichkeit. Wer selbst schon Video-on-Demand einsetzt, dürfte bestätigen, dass man hier noch einiges verbessern kann. „Nicht-lineares Fernsehen wird erst dann breiten Erfolg haben, wenn der Zuschauer auf alle Inhalte zugreifen kann, ohne auf den gewohnten Komfort zu verzichten. Daher erwarten wir die wirkliche Massennutzung erst ab 2018/2019“, so Künstner.
Als wesentlicher Erfolgsfaktor für nicht-lineares Fernsehen im Massenmarkt wird schließlich die Preisgestaltung angesehen. Im Premium-Bereich von Video-on-Demand, also dem Bereich ohne Werbung, konkurrieren die Abrufinhalte bisher vor allem mit dem Kauf und dem Ausleihen von DVDs bzw. Blu-ray-Discs. Entsprechend hoch ist der Preis, den Zuschauer pro Sehminute für diese Inhalte zahlen. Allerdings sind laut Booz & Company jetzt schon etwa 60 Prozent der auf den großen TV-Sendern ausgestrahlten Inhalte kostenlos oder billig verfügbar, beispielsweise in Mediatheken, Videoportalen wie YouTube und auf Websites der Sender selbst.
Was ist eigentlich mit Festplattenreceivern?
Leider wird im Pressetext von Booz & Company nicht auf zeitversetzes Fernsehen mittels Festplattenreceiver eingegangen. Dabei ist damit schon heute unabhängig von schnellen Internetzugängen eine komfortable Nutzung von TV-Inhalten abseits der Sendepläne der TV-Kanäle möglich. Bei Innovationen wie Sky Anytime steht den Abonnenten sogar ohne eine vorherige Programmierung ihres Festplatterekorders immer eine Auswahl aktueller Inhalte zum sofortigen Abruf von der lokalen Festplatte zur Verfügung. Bei den Onlinvideotheken von Kabel Deutschland und Kabel BW wird eine Internetverbindung nur zur Navigation im Angebot benötigt. Die Inhalte selbst werden dagegen wie beim digitalen Kabelfernsehen über einen DVB-C-Kanal übertragen, sodass man selbst für HD- und 3D-Filme keine besonders schnelle Internetverbindung benötigt.
Und was die Preise angeht: Zumindest bei Maxdome ist ein umfangreiches Video-on-Demand-Angebot für eine relativ niedrige monatliche Gebühr (preislich mit einem kleinen bis mittelgroßen Pay-TV-Abo vergleichbar) erhältlich. Richtet Ihr Euch beim Fernsehkonsum noch nach dem Programmschema der Sender? Oder seht Ihr auf die eine oder andere Weise Eure Inhalte „on demand“?
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